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Schicksalsjahre eines Hobbits I - Bockland  by Lily Dragonquill

Kapitel 6: Trauer



So blieb Frodo alleine in seinem Zimmer. Zitternd vor Trauer und Kälte lag er seinem Bett, fand nicht einmal die Kraft, nach seiner Bettdecke zu tasten und sich zuzudecken. Sein Nachthemd war voller Grasflecken, seine Knie schmutzig. Esmeralda hatte die Kerze ausgepustet, als sie gegangen war und so blieb ihm nur das Licht der Sterne. Doch Frodo brauchte kein Licht, hielt die Augen fest verschlossen. Er weinte, bis er glaubte keine Tränen mehr übrig zu haben und doch fanden immer wieder neue ihren Weg über seine Wangen. Sie schienen unerschöpflich.
Immer wieder stellte er sich dieselben Fragen, fragte immer wieder nach dem Warum. Weshalb seine Eltern? Warum waren sie gerade heute mit dem Boot hinausgefahren? Weshalb musste er alleine und verlassen zurück bleiben? Warum konnten sie nicht plötzlich in sein Zimmer treten und ihn trösten? Weshalb?
Frodo schluchzte, nahm immer wieder flache, ruckartige Atemzüge, bis seine Lungen schmerzten, doch seine Tränen wollten nicht versiegen. Saradocs Worte hatten eine unbestreitbare Endgültigkeit an sich und auch wenn Frodo sie nicht glauben wollte, wusste er, dass sie der Wahrheit entsprachen. Auch der Herr von Bockland hatte geweint und selbst wenn alles andere eine Lüge gewesen wäre, diese Tränen hatten genügt, um Frodo von der Wahrheit zu überzeugen. Seine Eltern waren tot, würden nicht zu ihm zurückkehren. Verzweifelt vergrub Frodo seinen Kopf tiefer in seinem Kissen, klammerte sich mit den Händen an der Matratze fest und schluchzte hilflos.

Stunden weinte er noch, wünschte vergebens seinen Kummer im Schlaf vergessen zu können. Es schien, als hätten Saradocs Worte etwas in ihm geöffnet, dass Frodo alleine nicht mehr verschließen konnte, denn so sehr er sich auch beruhigen wollte, in der Hoffnung, am nächsten Morgen aufzuwachen und zu erkennen, dass alles nur ein schlimmer Traum gewesen war, seine Tränen nahmen kein Ende. Inzwischen hatte er sich seine Decke bis unter das Kinn gezogen, zitterte jedoch noch immer, wenn auch nicht mehr vor Kälte, sondern vor Erschöpfung.
Er wünschte sich, Saradoc hätte Merry nicht weggeschickt, wünschte sich, jemand würde ihm den nötigen Trost, die nötige Ruhe spenden, nach der er sich sehnte. In seiner Verzweiflung versuchte er sich vorzustellen, wie es sich angefühlt hatte, als er in der vergangenen Nacht zu seinen Eltern gekuschelt war, während sich ein herzhaftes Gähnen seiner bemächtigte und er den salzigen Geschmack seiner eigenen Tränen auf seinen trockenen Lippen schmeckte. Eine Vorstellung war nicht, was er sich erhofft hatte, doch in seiner Erschöpfung genügte sie ihm.
Eine letzte Träne stahl sich aus seinen Augenwinkeln, während seine ruckartigen, mit der Zeit schmerzhaften Atemzüge, langsam gleichmäßiger und tiefer wurden. Ein leises Wimmer entwich seinen Lippen, seine sich krampfhaft an der Decke festklammernde Hand entspannte sich, als ihn ein leichter Schlummer mit sanfter Gewalt in seine Arme schloss.
Doch der Schlaf sollte keine Erholung bringen, sondern seine Qualen noch verstärken.



~*~*~


Frodo fand sich in einem Meer von Schwärze. Zu allen Seiten hörte er Wasser plätschern, konnte jedoch nichts erkennen. Von einer panischen Angst ergriffen, drehte er sich ihm Kreis, in der Hoffnung, wenigstens einen kleinen Anhaltspunkt in der dichten, beklemmenden Dunkelheit zu finden. Verzweifelt rief er nach seiner Mutter, rief nach seinem Vater, bekam jedoch keine Antwort.
Zögernden Schrittes und mit ausgestreckten Händen, mit denen er nach Hindernissen tastete, setzte sich Frodo schließlich in Bewegung. Das Herz schlug ihm bis zum Hals und seine Furcht ließ ihn immer wieder verzweifelt nach seinen Eltern rufen.
Als wäre die beklemmende Dunkelheit nicht genug, kroch dichter, feuchter, weißer Nebel plötzlich seine Beine empor, schloss ihn schließlich vollends ein. Frodo fröstelte, blieb stehen und schlang die Arme um die Schultern, während kleine Tautröpfchen sich in seinen Haaren verfingen. Verzweifelt blickte er um sich, rief noch einmal nach seiner Mutter, als auf einmal ein Boot aus den Nebeln auftauchte. Frodo kniff die Augen zusammen, um feststellen zu können, wer in dem Boot saß, erkannte seine Eltern und rannte freudig rufend zu ihnen. Er vergaß um seine Furcht, gegen etwas zu stolpern oder in Löcher zu fallen, die er im Nebel nicht erkennen konnte. Für ihn war nur mehr von Bedeutung, zu seinen Eltern zu gelangen. Würde er sie erst erreichen, wäre alle Angst vergessen.
Auf einmal begann der Boden sich zu rühren. Frodo hielt erschrocken inne, blickte sich beunruhigt um. Es schien plötzlich, als hätte jemand einen Stein in einen ruhigen See geworfen. Der Nebel kräuselte sich, ebenso wie der Grund zu seinen Füßen. Zitternd sah Frodo, wie sich Wellen bildeten, die immer höher stiegen. Sie schienen von allen Seiten zu kommen und doch konnte Frodo ihren Ursprung nicht erkennen. Er schrie verzweifelt nach seinen Eltern, doch sie hörten ihn nicht. Hinter dem Boot bildete sich eine dunkle, bedrohliche Welle, die immer höher empor stieg. Frodo schrie, doch ihm war, als saugten der Nebel und das fortwährende Geräusch von plätscherndem Wasser seine Stimme auf. Hilflos und mit vor Schrecken weit aufgerissenen Augen musste er mit ansehen, wie die Welle mit einem donnerähnlichen Rauschen auf das Boot niedersauste und es verschlang.


~*~*~



"Nein!" Frodo schreckte aus dem Schlaf hoch.
Schweißgebadet saß er in seinem Bett. Sein Herz raste und er spürte Tränen in seinen Augen, die er mit zitternden Fingern wegwischte. Seine Brust schmerzte und sein Mund war trocken. Frodo blickte aus dem Fenster, während er sich die Lippen leckte. Die Sterne leuchteten am Himmel, kein Streifen östlichen Sonnenlichts störte ihre Schönheit. Es musste noch spät in der Nacht so und Frodo entschloss, zu seinen Eltern zu gehen, auch wenn die Erinnerung an seinen Traum bereits verblasste. Er war der Ansicht, dass es besser war, vorzubeugen, als noch einmal von schlimmen Träumen geweckt zu werden und er wusste, im Bett seiner Eltern würden ihn keine Albträume plagen.
Langsam glitt er aus dem Bett, schlich auf Zehenspitzen in den Gang hinaus. Alles war dunkel, alle Kerzen gelöscht, nicht ein Geräusch war zu hören. Frodo fröstelte. Rasch trat er an die gegenüberliegende Türe, lauschte einen kurzen Augenblick und trat dann ohne anzuklopfen ein. Das Bett war leer. Überrascht blieb Frodo in der Tür stehen, runzelte die Stirn. Waren seine Eltern noch immer nicht zurückgekehrt?
Eine Stimme in seinem Innern flüsterte, dass sie nie zurückkehren würden, doch Frodos ganzes Sein lehnte sich dagegen auf.
Leise schloss er die Tür, kroch vorsichtig in das Bett seiner Eltern und kuschelte sich unter die Decke seiner Mutter. Er nahm den Geruch ihres Kissens tief in sich auf. Wie sehr er diesen Geruch von Blumen und Stoffen und der besonderen Note seiner Mutter doch liebte.
‚Und doch wirst du ihn nie wieder riechen können!' hörte er eine grausame Stimme wispern. Frodo runzelte die Stirn, schüttelte heftig den Kopf und rollte sich zusammen. Doch noch während er seine Augen schloss, spürte er eine seltsame Angst in seinem Herzen und Tränen drohten in ihm aufzusteigen. So sehr er sich auch dagegen wehrte, ein Teil seines Herzens glaubte der Stimme. Beunruhigt kniff Frodo die Augen zusammen, versuchte, sich mit dem Duft seiner Eltern abzulenken und wünschte, dass er bald einschlafen möge.



~*~*~



Früh morgens tapste Merry durch die Gänge des Brandyschlosses, wollte zu Frodo und nachsehen, ob es ihm besser ging. Er hoffte sehr, dass dem so war, denn es schmerzte ihn, Frodo leiden zu sehen und wollte nicht, dass sein Vetter traurig war.
Auf Zehenspitzen trat er in das kleine Zimmer am Ende des östlichsten Ganges, um Frodo nicht aufzuwecken, sollte er noch schlafen. Merry war sich sicher, dass Frodo noch nicht aufgewacht war, denn sein Vetter war ein leidenschaftlicher Langschläfer und nach einem solch schrecklichen Tag wie dem gestrigen, würde er bestimmt noch länger schlafen, als gewöhnlich.
Doch Merry musste überrascht feststellen, dass Frodos Bett leer war. Mit gerunzelter Stirn ging er darauf zu, legte eine Hand auf die Matratze. Sie war kalt. Frodo hatte sein Bett schon lange verlassen. Furcht ergriff Besitz von Merry und er blickte sich verwirrt im Zimmer um, als vermute er, Frodo habe sich vor ihm versteckt, denn er wusste, dass sein Vetter nicht im Badezimmer war. An jenem, das Frodos Zimmer am nächsten lag, war er vorübergegangen, hatte hineingesehen, doch Frodo war nicht unter den sich waschenden Hobbits gewesen.
Mit einem entsetzen Schrei stürmte Merry aus dem Zimmer, Angst in seinem Herzen. Voller Sorge um seinen geliebten Vetter, rannte er in eine der Küchen, wo er seine Mutter wusste.
"Frodo ist weg!" rief er verzweifelt.

Esmeralda blickte erschrocken von ihrem Tee auf, als sie Merrys verschreckte Stimme hörte. Die Angst in seinen Augen, ließ sie bange werden. Sie tauschte einen kurzen Blick mit Saradoc, der gerade dabei war, sich eine Tasse Tee einzuschenken und eilte dann ihrem Sohn hinterher, zurück zu Frodos Zimmer.
Mirabella, Frodos Großmutter, die mit Esmeralda am Tisch gesessen war, wollte ihnen folgen, doch Saradoc hielt sie zurück, meinte, es wäre besser, nicht das ganze Brandyschloss deshalb in Aufruhr zu versetzen, und dass sie hier warten solle, für den Fall, dass Frodo überraschend zum Frühstück kommen sollte. Er selbst rannte ebenfalls in den östlichen Gang, der bis zum gestrigen Tage nur von den Beutlins bewohnt worden war.
Mit klopfendem Herzen starrte Esmeralda auf das leere Bett, sah dann noch einmal in den Gang hinaus, als erwarte sie, Frodo würde plötzlich hinter ihr stehen. Saradoc erreichte sie keuchend, legte ihr eine Hand auf die Schulter und ließ seine Augen ebenfalls durch das Zimmer wandern. Esmeralda, von plötzlicher Hilflosigkeit ergriffen, wurde plötzlich klar, dass sie einen großen Fehler begangen hatte. Nie hätte sie Frodo alleine lassen dürfen. Sie hätte bei ihm bleiben oder ihn mit sich nehmen müssen, nur für diese eine Nacht. Was hatte sie sich dabei gedacht, ihn alleine zu lassen? Sie konnte kaum glauben, dass ihr eigener Schmerz, ihre eigene Trauer sie so blind gemacht hatten. Schuldgefühle wuschen über ihr ohnehin schon geplagtes Herz und sie musste sich auf die Lippen beißen, um ihre Tränen zu verbergen. Trost suchend tastete sie nach der Hand ihres Gatten, die beruhigend auf ihrer Schulter ruhte, wandte den Blick jedoch nicht von Frodos Bett, die Augen groß und sorgenvoll.

Merry blickte verwirrt zu ihnen auf und Saradoc erkannte Tränen in den sonst so fröhlichen Augen glitzern. Seine Familie weinen zu sehen, war mehr, als Saradoc im Augenblick ertragen konnte, auch wenn er sonst als eine starke Persönlichkeit galt. Doch der Tod seiner geliebten Tante und seines Onkels hatte ihn mehr mitgenommen, als er sich selbst eingestand. Dass er Frodo die Nachricht von ihrem Tod nicht hatte unter anderen Umständen mitteilen können, sondern es so geschehen musste, wie es geschehen war, hatte ihm am Ende auch die letzten seiner Kräfte geraubt und ihn nachts um seinen Schlaf gebracht. Mehrere Male hatte er daran gedacht, zu Frodo zu gehen, war dann aber zu erschöpft gewesen, seine Pläne umzusetzen. Jetzt bereute er, dass er nicht aufgestanden war und nach dem Rechten gesehen hatte und war fest entschlossen, seinen Fehler wieder gut zu machen.

Er wandte sich von Esmeralda und Merry ab, lief raschen Schrittes zur Haupteingangstüre. Vermutlich ohne sich ihrer Tat bewusst zu werden, lief Esmeralda ihm hinter her, als er sich seinen Mantel von einem Kleiderhaken nahm und nach draußen ging. Er wollte zum Fluss, dorthin, wo Frodo schon am vergangenen Abend hatte hin wollen. Vielleicht würde er den jungen Hobbit dort finden können. Saradoc hoffte es, bat inständig, dass Frodo wohlauf war.
Esmeralda wies er an, zu Hause zu bleiben, sollte Frodo zurückkehren.
"Möglicherweise ist er auch noch immer in der Höhle", sagte er, "hat sich nur in einem anderen Zimmer verkrochen."
Er küsste sie zum Abschied, eilte dann in den erwachenden Tag hinaus.

Esmeralda blickte ihm hilflos hinterher, blieb lange Zeit in der Tür stehen. Schon bei ihrer Heirat mit Saradoc hatte sie gewusst, eines Tages zur Herrin von Bockland zu werden, doch hatte sie sich nie erträumen lassen, dass sie dieser Aufgabe nicht gewachsen sein würde. Sie war eine nahe Verwandte von Ferumbras Tuk und da dieser unverheiratet geblieben war und somit keine Söhne hatte, stand schon früh fest, dass ihr Bruder Paladin eines Tages in dessen Fußstapfen treten würde, wie es dann auch gekommen war. Aus diesem Grund hatte vor allem Paladin schon in seiner frühen Jugend viel über die Verwaltung einzelner Bereiche des Auenlandes gelernt und Esmeralda, immer erpicht, ihrem älteren Bruder nachzueifern, hatte ihm dabei oft über die Schultern gesehen.
Sie hatte früh gewusst, dass sie Saradoc bei der Verwaltung Bocklands und dem Haushalt des Brandyschlosses würde beistehen müssen, wusste um ihre Aufgaben und hatte diese auch gemeistert. Trotz ihrer Stellung hatte sie auch immer genug Kraft und Zeit für ihren Sohn gefunden, hatte ihm alles gegeben, das sie ihm hatte geben können und war auch gerne bereit gewesen, auch auf andere Kinder Acht zu geben.
Doch jetzt, zum ersten Mal in ihrem Leben, fühlte sie sich hilflos und zu schwach für die Aufgaben, die ihr zugeteilt waren. Mit Primula hatte sie sich von allen Bewohnern des Brandyschlosses am besten verstanden, was auch damit zusammenhing, dass Saradoc seine Tante sehr liebte. Außerdem war Frodo nur wenige Jahre älter, als ihr eigener Sohn und Esmeralda konnte sich an keine Zeit erinnern, zu der Merry seinem älteren Vetter nicht nachgeeifert hatte. Frodo schien für ihn, wie der ältere Bruder, den er niemals würde haben können. Er sah zu ihm auf, bewunderte ihn und war ständig an seiner Seite. Frodo erfreute sich daran, Merry an seiner Seite zu haben, schien stolz darauf, sein Wissen an einen jüngeren weitergeben zu können. Frodo und Merry waren Vettern und doch glaubte Esmeralda oft, dass sie mehr waren, als nur Freunde und Verwandte. Vor allem Frodo schien durch Merrys Freundschaft aufzublühen, denn, so hatte ihr Primula einmal gesagt, er tat sich nicht leicht, mit anderen Freundschaft zu schließen, da er, und das war für einen Hobbit sehr ungewöhnlich, des Öfteren nach Ruhe suchte und lieber alleine war, als mit anderen herumzutoben. Nur die wenigsten hatten Verständnis dafür und Esmeralda schien es oft, als wäre Primula die einzige, die ihren Sohn wirklich verstand. Esmeralda selbst, war nie schlau aus ihm geworden, auch wenn sie Frodo lieb gewonnen hatte. Als sie jedoch seine Verzweiflung am vergangenen Abend nicht nur gesehen, sondern auch selbst gespürt hatte, war ihr das Herz gebrochen. Sie hatte nicht gewusst, wie sie ihm hätte helfen sollen und ihn nun nicht mehr wieder finden zu können, ließ sie schier verzweifeln. Sie machte sich schreckliche Vorwürfe, sich nicht anders verhalten zu haben. Sie wusste, wie sehr Frodo an seinen Eltern, vor allem an Primula, gehangen war und hatte ihn dennoch mit seinem Kummer alleine gelassen.

Plötzlich schnappte sie nach Luft, das Herz klopfte ihr bis zum Hals. Warum hatte sie nicht gleich daran gedacht? Ruckartig schloss sie die Eingangstür, eilte zurück in den östlichen Gang. Merry, der bis zu diesem Zeitpunkt mit Tränen der Verwirrung und der Sorge in den Augen neben ihr gestanden war, eilte ihr mit fragendem Blick hinterher.
Vorsichtig öffnete sie die Tür zu Drogos und Primulas Zimmer und ein Stein fiel ihr vom Herzen, als sie Frodo zusammengekauert im Bett liegen sah. Mit einem leisen Seufzer der Erleichterung trat sie an das große Bett, entzündete den Kerzenständer, der auf dem Nachttisch stand.
Frodo hatte ihr den Rücken zugewandt und sein dunkles Haar schimmerte bernsteinfarben im Licht der Kerze. Die linke Hand, die neben seinem Gesicht ruhte, umklammerte einen Zipfel der Bettdecke seiner Mutter. Esmeralda blutete das Herz, als sie sich etwas weiter nach vor beugte, um sein Gesicht erkennen zu können. Seine Wangen waren von Tränenspuren gezeichnet und dunkle Ringe malten sich unter seinen geschwollenen Augen ab. Hatte er in dieser Nacht denn keine Ruhe finden können?
Mit weinendem Herzen setzte Esmeralda sich auf die Bettkante, strich sanft über Frodos Wange. Seine Augenbrauen zuckten und er rührte sich, schien sich jedoch hartnäckig gegen das Aufwachen zu wehren.
"Mama?", flüsterte er schlaftrunken und seine Lider flatterten.
"Nein", wisperte Esmeralda und schüttelte leicht den Kopf. "Ich bin es nur."

Frodo blinzelte sich den Schlaf aus den Augen, wandte sich schwerfällig der Stimme zu, wobei er für einen Augenblick das Gesicht verzog, als sein Hintern schmerzhaften Kontakt mit der Matratze machte. Esmeraldas Gesicht war über ihn gebeugt, ein schwaches, gequältes Lächeln auf ihren Lippen. Tränen füllten ihre blauen Augen, nahmen dem Lächeln die aufmunternde Wirkung, die es zweifelsohne hätte haben sollen. Das Haar trug sie ausnahmsweise offen und die hellen Locken, heller noch, als die von Merry, hingen ihr verspielt ins Gesicht.
Frodo runzelte die Stirn. Was machte sie hier? Er hatte mit den freudigen Gesichtern seiner Eltern gerechnet und von Merrys Mutter geweckt zu werden, verwirrte ihn. Verwundert stellte er fest, dass ihm bei dem Gedanken an seine Eltern das Herz schwer wurde und legte zögernd den Kopf in ihren Schoß, genoss die sanfte Berührung, als sie ihm zärtlich einige Haarsträhnen aus der Stirn strich.
"Wann kommen sie zurück?", wisperte er plötzlich so leise, als wolle er nicht, dass jemand seine Worte vernahm. Er hatte nicht einmal gewusst, dass er etwas sagen wollte, bis die Frage über seine Lippen gekommen war und nur langsam wurde ihm klar, worauf er damit hinauswollte. Seine Eltern waren mit dem Boot hinaus gefahren, deshalb hatte er sie am vergangenen Abend nicht mehr gesehen und doch war da noch etwas anders. Ein bedrohlicher Schatten, ein dunkler Schleier, der seinen Blick trübte, ihn ängstigte.

Esmeralda spürte, wie sie sich bei seinen Worten verkrampfte. Ihre Hand erstarrte in der Bewegung. Er war ihr seltsam gefasst erschienen, fernab jener Verzweiflung, die ihn am vergangenen Abend so fest umklammert hielt, dass selbst Saradoc Mühe gehabt hatte, ihn ruhig zu stellen. Nun wusste sie weshalb, und der Schrecken darüber, ließ ihren Herzschlag für einen kurzen Augenblick aussetzen. Er hatte einen Weg gefunden, den Tod seiner Eltern zu vergessen, ließ ihn nicht mehr bis zu sich durchdringen und hoffte nun noch immer auf ihre Rückkehr. Sollte es am Ende wirklich sein, dass ihr die schmerzvolle Aufgabe zuteil wurde, Frodo diese schreckliche Nachricht noch einmal mitzuteilen? Esmeralda spürte den Kloß in ihrem Hals, spürte den Schweiß, der ihre Hände feucht werden ließ, als sie sanft und mit zitternden Fingern nach Frodos Schultern griff und den Jungen aufsetzte.
Sie musste seinen Blick nicht erst suchen, denn Frodo hatte seine fragenden, verwirrten Augen bereits auf sie gerichtet und den Kopf ein wenig schief gelegt, was ihn noch hilfloser wirken ließ, als Esmeralda sich fühlte. Forschend blickte sie in seine Augen, als könne sie darin die Antwort darauf finden, wie sie Frodo die Nachricht über den Tod seiner Eltern überbringen sollte. Doch dann bemerkte sie etwas, dass sie zugleich erschreckte, wie auch beruhigte. Für gewöhnlich trugen Frodos Augen einen unverkennbaren Glanz in sich, als hielten sie einen Stern verborgen, doch dieser Glanz war erloschen und das sonst so strahlende Blau seiner Augen wirkte matt und hoffnungslos. Mit plötzlicher Klarheit wusste sie, dass sich nur mehr ein kleiner Teil seines Seins gegen das Wissen sträubte, das ihn seit dieser Nacht quälte.
Esmeralda öffnete den Mund, nur um ihn gleich darauf wieder zu schließen. Sie spürte das Brennen von Tränen in ihren Augen.
"Sie werden nicht zurückkommen, Frodo", flüsterte sie dann zaghaft und ihre Worte erschienen ihr kalt und herzlos, doch wusste sie nicht, sie sie sich sonst hätte ausdrücken können.
Sie spürte, wie sich jeder Muskel unter ihren Fingern anspannte, konnte förmlich sehen, wie Frodo sich verkrampfte. Sein Blick ruhte noch immer auf ihr, doch schien er nun ausdruckslos und verloren. Seine Lider schlossen sich, sein Ausdruck wurde zu einem Spiegelbild des Schmerzes und des Kummers, als er den Kopf wie kraftlos auf ihre Brust sinken ließ. Esmeralda schloss die Arme um ihn und eine Träne stahl sich aus ihren Augenwinkeln.
Nie war ihr etwas schwerer gefallen, als dieses Gespräch mit Frodo. Nie hatte sie etwas mehr verletzt, als den Schmerz in seinen Augen zu sehen, Augen, die solch schreckliche Zeiten nicht durchleben sollten. Ein Zittern durchlief sie, als sie spürte, wie ihre Kraft sie verließ und sie fürchtete sich vor dem Wissen, dass dies erst der Anfang von Frodos Schmerz sein sollte.

"Ich weiß", murmelte Frodo und es erschreckte ihn, dass dem tatsächlich so war.
Der Schleier hatte sich gelüftet und er erinnerte sich an Saradocs Worte, erinnerte sich an das blaue Tuch und fühlte den Schmerz und den Kummer des vergangenen Abends. Das war der Grund, weshalb ihm das Herz schwer war. Seine Eltern waren fort, würden nicht wieder zurückkommen. Drogo und Primula Beutlin waren tot. Frodo verspürte einen schmerzhaften Stich in der Brust bei diesem Gedanken und neben seiner Trauer, seinem Schmerz, die er nun sehr deutlich spürte, erwachte plötzlich ein anderes Gefühl. Unverständnis pochte in seinem Innern, wurde zu einem Korn der Wut und wieder stellte er sich dieselben Fragen, die er sich auch schon am Abend zuvor gestellt hatte. Warum waren sie mit dem Boot hinaus gefahren? Weshalb wurden ihm seine Eltern genommen?
Tränen stiegen in ihm empor und er klammerte sich verzweifelt an den Ärmel von Esmeraldas Kleid, als er mit erstickter Stimme flüsterte: "Ich kann es nicht verstehen."
Es war die Wahrheit. Er verstand es nicht, fand keine Antworten, keinen Grund. Alles, was er wusste, war, dass sie nicht zurückkehren würden, dass er alleine war und das machte ihm Angst. Sie umklammerte sein Herz, presste es mit groben Fingern zusammen, machte es schmerzen. Frodo fand sich verzweifelt nach Luft schnappen, als eine Träne sich aus seinen Augen löste. Ihr folgte eine weitere und wie schon am Abend zuvor, schienen sie, kaum dass der erste Widerstand durchbrochen war, kein Ende mehr nehmen zu wollen.
Seine Finger vergruben sich noch fester im weichen Stoff ihres Kleides, als Esmeralda ihn wiegte, wie ein Kleinkind, doch noch schien er nicht gewillt, ihren Trost annehmen zu wollen, denn jenes tröstende, beruhigende Gefühl, das er von seiner Mutter kannte, wollte nicht einsetzen. Stattdessen brachte der Gedanke an Primula neue Tränen hervor und seine Hilflosigkeit wuchs noch, als Esmeralda mit zitternder, leiser Stimme sprach: "Das versteht niemand, mein Junge. Niemand."

Merry war in der Tür stehen geblieben, erleichtert, Frodo gefunden zu haben. Eine Hand hatte er an den Rahmen gelegt, hatte stumm mitverfolgt, wie seine Mutter seinen verloren gegangen Freund weckte. Seine Tränen waren bei dem Anblick Frodos versiegt, doch was sich dann vor seinen Augen abspielte, berührte ihn tief und das Mitgefühl, das er für seinen Vetter barg, erwachte zu neuem Leben. Zögernden Schrittes ging Merry auf das große Bett zu, die Augen auf Frodo gerichtet, der hilflos schluchzend und zusammengekauert in den Armen seiner Mutter lag. Das Licht der Kerze flackerte, verlieh Frodos Tränen geröteten Wangen einen blassen Glanz. Merry unterdrückte ein Schluchzen, als er vorsichtig die Hand ausstreckte, um seinen Freund und Vetter tröstend an der Schulter berührte.
Frodo zuckte unter der überraschenden Berührung zusammen und Merry zog einen Augenblick erschrocken die Hand zurück, blickte fragend zu seiner Mutter auf. Esmeraldas Gesicht war Tränen überströmt und wenn Merry der hilflose Anblick seines Vetters noch nicht genügt hatte, so konnte er nun nicht länger gegen seine eigenen Tränen ankämpfen. Trost suchend kletterte er auf das Bett, kuschelte sich unter den anderen Arm seiner Mutter, die ihn fest umklammert hielt, und legte den Kopf an ihre Brust, während er zärtlich Frodos zitternde Hand streichelte. Er wollte ihm helfen, wollte, dass er aufhörte zu weinen und wieder glücklich war, doch zum ersten Mal in seinem Leben, fand er, dass er das nicht konnte. Frodo wandte sich ihm zu und die von Tränen klar gewaschenen Augen blickten tief in die seinen.

Die zaghafte Berührung spendete ihm Trost, auch wenn er zuerst ob der kalten Hand deines Vetters erschrocken war. Frodo war dankbar dafür, hätte Merry am liebsten umarmt, doch er konnte es nicht. Sein Körper schien selbst zu schwach, Merrys liebevolle Geste zu erwidern. So versuchte er, seine Dankbarkeit in seinem Blick zu zeigen, hoffte, Merry würde ihn verstehen. Er wurde mit einem aufmunternden Lächeln belohnt und konnte beruhigt die Augen schließen.

Lange Zeit blieben sie so liegen und auch wenn Esmeralda und Merry sich bald wieder erholt hatten, wollten Frodos Tränen nicht versiegen und weder Angst, noch Wut, noch Schmerz wollten von seinem Herzen lassen. Esmeralda versuchte ihn zu einem Frühstück zu überreden, doch Frodo schüttelte den Kopf, kroch schließlich von ihr und Merry weg, wandte ihnen den Rücken zu. Er wollte sie nicht ebenso traurig machen, wie er war. Dass sie aber gehen und ihn alleine zurücklassen würden, hatte er nicht erwartet. Schluchzend hob er den Kopf, blickte auf den hellen Spalt zwischen Tür und Wand, wartete einen langen Augenblick vergebens auf Esmeraldas Rückkehr. Seine Unterlippe begann zu zittern, als er erkannte, dass er allein bleiben sollte und mit frischen Tränen in den Augen griff er nach der Decke seiner Mutter, kuschelte sich in deren warme Geborgenheit.

Kaum hatte Esmeralda das Zimmer verlassen, hatte sie sich gegen die Wand gelehnt und tief durchgeatmet. Merry war an ihrer Seite, sah verwirrt zu ihr auf, doch sie ertrug seinen Blick nicht und wandte den Kopf von ihm ab. Das Herz schlug ihr bis zum Hals und sie keuchte. Sie konnte das nicht. Sie hatte nicht die Kraft, Frodo zu trösten. Seine Augen trugen einen Schmerz in sich, der ihren eigenen immer neu aufflammen ließ, wenn sie geglaubte hatte, ihm für einen Augenblick entkommen zu sein. Seine Verzweiflung traf sie tief in ihrem Herzen. Sie war zu schwach, für ihn da zu sein, sich um ihre Familie und ihre Pflichten als Herrin von Bockland zu kümmern und mit ihrer eigenen Trauer fertig zu werden. In seiner Nähe würde ihr letzteres nicht gelingen und weshalb sollte sie bei ihm bleiben, wenn er sich von ihr abwandte, sie scheinbar nicht bei sich haben wollte? Weshalb sollte sie ihm dann noch Trost spenden, wo sie in seinem Kummer doch selbst nur zusätzliches Leid fand?
"Mama?"
Merrys Blick ruhte noch immer verwirrt und sorgenvoll auf ihr und so atmete sie erneut tief durch und sammelte ihre Kräfte. Frodo mochte sie im Augenblick nicht brauchen, was sie beinahe als eine Erleichterung empfand, doch Merry benötigte sie dafür umso mehr.

Frodos Weinen ebbte ab, wurde zu leisem Schluchzen. Warum war Esmeralda gegangen? Er hatte sie doch nur nicht zum Weinen bringen wollen, dabei aber nicht die Absicht gehabt, sie aus dem Zimmer zu vertreiben. Auch wenn ihre Umarmung nicht den erhofften Trost gebracht hatte, war sie ihm doch willkommen gewesen.
Sein Magen knurrte. Er mochte hungrig sein, doch Frodo war sich sicher, dass er keinen Bissen hinuntergebracht hätte. Er fühlte sich nicht dazu in der Lage zu essen und allein der Gedanke daran, ließ ihm übel werden.
Seine Augen wanderten durch das Zimmer. Das Kerzenlicht war gerade hell genug, um die Umrisse jeden Gegenstandes aufzuzeigen. Das Tischchen in der Ecke schien im flackernden Licht zu flimmern, das hohe Regal, das an der Wand stand, voll mit Büchern, Bildern und kleinen Mathoms, hatte in der Dunkelheit eine besondere Anziehungskraft. Der Kamin neben der Tür war kalt und leer, denn in den Sommermonaten zogen Drogo und Primula die Kühle eines komfortablen Zimmers einem angenehm warmen Feuer im Kamin vor. Die beiden Sessel vor dem Kamin schienen jedoch schon ungeduldig auf die kühlere Jahreszeit zu warten. Über die Lehne des einen war sogar schon eine angefangene Strickarbeit gelegt worden, doch waren noch nicht viel mehr, als ein paar Maschen verarbeitet worden.
Frodo erinnerte sich an die vielen Abende, an denen er auf dieser Lehne gesessen hatte, die Arme seiner Mutter schützend um seinen Oberkörper gelegt, und ihrer Stimme lauschte. Oft saß er auch zu den Füßen seines Vaters, oder auf dessen Schoß und lauschte gespannt, wenn er eine Geschichte erzählt bekam, oder über einige Eigenheiten in der Hobbitkunde belehrt wurde.
Ein Schluchzen entrann seiner Kehle, als er sich daran erinnerte, wie er das letzte Mal auf diese Sessel gesehen hatte. Es war vor zwei Nächten gewesen, als er an der Hand seiner Mutter in das Zimmer gekommen war. Ein kalter Schauer lief ihm über den Rücken, als er an den schrecklichen Traum dachte, der Grund für seinen Gang in das Zimmer seiner Eltern gewesen war. Er hatte geträumt zu ertrinken, doch nicht er war es gewesen, der ertrinken hatte sollen. Heiß stiegen die Tränen in ihm empor, ließen seine Augen brennen, ehe sie, einem verirrten Regentropfen gleich, über seine Wangen rannen. Leise wimmernd zog er die Knie hoch und schlang seine Arme darum.

Verloren lag er im Bett seiner Eltern, ließ seine Augen immer wieder durch das Zimmer wandern, als könne er nicht genug von dessen Anblick bekommen. Sein Blick fiel auf die Bilder, die an den Wänden hingen. Eines zeigte seinen Vater, ein anderes seine Mutter und wieder ein anderes zeigte seine Großeltern, die Frodo niemals kennen gelernt hatte. Doch war an dieser Stelle nicht noch ein viertes Bild gehangen? Frodo runzelte die Stirn, sah sich nach dem Bild um, entdeckte schließlich ein etwas dickeres Stück Papier in einem der Regale. Die Nase hochziehend, kroch er aus dem Bett, ging auf das Regal zu, um das Papier genauer zu betrachten. War es das Bild, oder hatte sein Vater ein neues Gedicht entdeckt und herausgeschrieben, um es Bilbo zu zeigen? Er musste sich auf die Zehenspitzen stellen, um es zu erreichen und als er es in seinen Händen hielt und betrachtete, füllten sich seine Augen mit Tränen. Es war das Bild, das er vermisst hatte. Es zeigte ihn, als er acht Jahr alt gewesen war, in den Armen seiner Eltern. Dünne, teilweise verschmierte Kohlstriche hatten den Gesichtern, die ihm nun lächelnd entgegen blickten, Leben eingehaucht.
Tränen strömten unaufhörlich über Frodos Wangen, je länger er das Bild betrachtete. Es würde nie wieder so sein können, wie auf dem Bild. Nie wieder sollte er das so bekannte Lächeln in den geliebten Gesichtern sehen. War er sich dessen wirklich bewusst? Wollte er sich dessen überhaupt bewusst werden? Ein Teil seines Herzens glaubte noch immer daran, dass sie plötzlich durch die Tür treten und ihn in die Arme schließen würden und Frodo klammerte sich an diesen Glauben, auch wenn er bereits wusste, dass er sich nicht erfüllen würde. Mit zitternden Fingern fuhr Frodo die Konturen des Bildes nach, ohne seinen Blick von ihm zu nehmen. Einen Augenblick wie diesen würde es niemals wieder geben und er hütete die Erinnerung daran liebevoll, ebenso, wie er das Bild hüten wollte. Sollte er seine Eltern tatsächlich nicht mehr wieder sehen, so wollte er, dass wenigstens ihr Lächeln weiterlebte. Vorsichtig legte er die Zeichnung an sein Herz, schloss zärtlich seine Hände darüber, als eine Träne aus seinen geschlossenen Augen tropfte und über seine Finger lief.



~*~*~



Am späten Vormittag kam Merry, um nach Frodo zu sehen. Leise öffnete er die Tür, erlaubte dem blassen Licht des Ganges in die dahinter liegende Dunkelheit vorzudringen. Ein Lächeln lag auf den Lippen des jungen Brandybocks, doch verblasste es, als er seinen Vetter erblickte. Frodo lehnte mit dem Rücken am Kopfende des großen Bettes, hatte die Beine angezogen und sich bis zum Bauch mit der Decke seiner Mutter eingewickelt. Seine Hände ruhten auf seinen Knien, hielten etwas fest, das Frodo wie verzaubert ansah. Merry schien er nicht zu bemerken und so zögerte der junge Hobbit, ehe er an das Bett herantrat.
"Frodo?", fragte er zaghaft und war erleichtert, als sein Vetter für einen Augenblick den Kopf hob und ihn ansah. "Komm, mit! Lass uns nach draußen gehen!"

Frodo war überrascht gewesen, als er Merrys Stimme vernommen hatte, doch seine Aufforderung ließ ihn beinahe schmerzhaft zusammenzucken. Mit Grauen dachte er daran, das Zimmer zu verlassen. Hier konnte er seinen Eltern nahe sein, konnte vergebens darauf hoffen, vielleicht doch noch aus diesem nicht enden wollenden Albtraum aus Schmerz und Kummer zu erwachen. Seine Gedanken kreisten nur um seine Mutter und seinen Vater, daran, was er ihnen noch hatte sagen wollen und daran, was er ihnen über diesen Tag zu berichten gedachte, bis ihm plötzlich schmerzhaft klar wurde, dass er ihnen nichts mehr würde mitteilen können.
"Lass mich hier bleiben, Merry, bitte", seine Stimme klang heiser, erstickt von Tränen, die für den Augenblick versiegt waren.
Frodo hob den Kopf nicht, sah weiterhin auf das Bild seiner Eltern, als sich Merry neben ihn auf das Bett setzte und seinem Blick folgte.
Merry nahm seine Hand in die seine und sah ihn bittend an. Frodo dachte erst, er wolle ihn dadurch überreden, mit ihm nach draußen zu gehen, doch etwas in Merrys Augen ließ Frodo stutzig werden. Er sagte jedoch nichts, sondern hielt seinen Blick weiterhin auf das Bild gerichtet.

Lange Zeit blieb Merry so neben ihm sitzen und hielt seine Hand, aber Frodo achtete kaum auf ihn. Seine Gedanken waren gefangen in Erinnerungen und doch beruhigte ihn das Gefühl, zu wissen, dass jemand bei ihm war, sehr und er war betrübt, als Merry schließlich vom Bett rutschte und das Zimmer wieder verließ. Zurückrufen konnte und wollte er ihn nicht. Er war heute keine gute Gesellschaft für seinen Vetter. Zu sehr war er mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt.
"Stell nicht zu viele Dummheiten an, hörst du."
Die letzten Worte seines Vaters hallten in seinem Kopf wieder. Mit Tränen in den Augen dachte er an den vergangenen Tag. Wie viele Dummheiten er doch begangen hatte! Erst war er auf einen hohen Baum geklettert, was ihn beinahe das Leben gekostet hätte und dann hatte er auch noch Maggots Pilze gestohlen. Es war ihm Recht geschehen, dass der Bauer ihn geprügelt hatte. Für all die Dummheiten, die er begangen hatte, schien ihm das beinahe noch zu milde und Frodo begrüßte seinen schmerzenden Hintern förmlich, hoffte, er würde ihm noch lange wehtun.
Warum hatte er nicht auf seinen Vater gehört? Es war seine letzte Anweisung gewesen und er hatte sie nicht befolgt.

"Frodo?"
Er zuckte zusammen, als er die Stimme vernahm und Esmeralda an ihn heran trat. "Komm, du musst etwas essen oder wenigstens etwas trinken, wenn du schon nicht essen willst."
Frodo schüttelte den Kopf, wandte sich von ihr ab, als sie sanft nach seiner Schulter griff. Er wollte das Zimmer nicht verlassen, nicht jetzt, nicht heute. Doch Esmeralda blieb hartnäckig, redete lange auf ihn ein und schließlich folgte er ihr widerwillig in eine der Küchen. Er trug noch immer sein Nachtgewand und hielt die Kohlezeichnung fest an seine Brust gedrückt. Er würde sie nicht mehr aus der Hand legen.

Ein Feuer knisterte, über dessen züngelnden Flammen eine Teekanne hing. Seine Großmutter, Mirabella, saß auf einem Stuhl etwas abseits des Tisches, bestickte ein weißes Tuch, als Frodo eintrat.
"Wie geht es dir, Frodo?", fragte sie besorgt.
Auch ihr Gesicht war von den Spuren unzähliger Tränen gezeichnet und ihre Augen waren rot und geschwollen, doch Frodo nahm dies kaum wahr. Er antwortete ihr nicht, setzte sich stumm auf einen Stuhl, das Bild beschützend an sich drückend. Esmeralda reichte ihm eine Tasse Milch, bereitete außerdem zwei Brote mit Butter und Marmelade vor. Erst nippte Frodo nur an seinem Getränk, benetzte seine Lippen mit der warmen Flüssigkeit und leckte sie dann davon ab, doch dann gewann sein Durst, der ihm bisher nicht aufgefallen war, überhand und er hatte die Tasse in wenigen Zügen leer getrunken. Die erleichterten Blicke und das wissende Nicken, das Esmeralda und Mirabella dabei austauschten, bemerkte er nicht.
Erst als Saradoc eintrat, hob er den Kopf. Der Herr von Bockland nickte ihm zu, lächelte gequält, doch Frodo erwiderte weder das Lächeln noch den stummen Gruß. Er wollte die Brote essen, doch jeder Bissen ließ sich schwerer schlucken, als der vorangegangene und nach nicht viel mehr als drei kleinen Schlucken, legte er das Brot wieder hin, griff stattdessen zu seiner Tasse, die Esmeralda noch einmal gefüllt hatte.
Die leise Unterhaltung zwischen Saradoc und den Frauen zog seine Aufmerksamkeit auf sich, auch wenn die ausgetauschten Worte gewiss nicht für seine Ohren bestimmt waren.
"Der Bote aus Tukland ist zurück", hörte er Saradoc kundtun. "Er traf deinen Bruder ein Stück östlich von Buckelstadt. Paladin lässt ausrichten, dass er rechtzeitig anreisen wird, allerdings alleine. Heiderose ist mit den Kindern vor wenigen Tagen zu den Nordtuks nach Langcleeve gereist und wird frühestens in der nächsten Woche zurückkehren."
Frodo stellte seine Tasse geräuschvoll auf den Tisch. Ihm war nicht nach Unterhaltungen dieser Art zumute. Er hatte genug gehört. Es wurde höchste Zeit, dass er in das Zimmer seiner Eltern zurückging. Mit zärtlichen Fingern hob er das Bild auf, das er für die kurze Dauer seiner Mahlzeit auf den Tisch gelegt hatte und schlurfte aus der Küche.

Mirabella sah ihrem Enkel wehmütig hinterher. Die Hände, die mit der Bestickung des Leichentuches beschäftigt waren, zitterten. Esmeralda legte ihr tröstend eine Hand auf die Schulter, doch Mirabella stieß sie weg und ihr Blick ließ die jüngere Frau deutlich wissen, dass nicht sie es war, die Trost brauchte, auch wenn der Tod ihrer jüngsten Tochter an ihr nagte.
"Das arme Kind", murmelte sie und Tränen glitzerten in ihren Augen. "Dass er Mutter und Vater auf einmal verlieren musste."
Saradocs Augen waren Frodo ebenfalls gefolgt und er nickte traurig. "Der morgige Tag wird noch schwerer für ihn werden. Ein Kind, so jung wie er, sollte seine Eltern nicht zu Grabe tragen müssen."

Frodo spürte, wie sich sein ganzer Körper zusammenzog, als er das Gespräch belauschte. Er glaubte, sich übergeben zu müssen und stützte sich an der Wand ab. Er würgte trocken, schnappte dann einige Male nach Luft. Lautlose Tränen flossen über seine Wangen. Weshalb war er nicht schneller gegangen? Weshalb hatte er dieses Gespräch mit anhören müssen? Warum hatten seine Eltern sterben müssen? Sein Körper zitterte wie Espenlaub und es dauerte einen Moment, bis er die nötige Kraft gefunden hatte, um so schnell er konnte, in das Zimmer seiner Eltern zurück zu eilen. Dort warf er sich schluchzend auf das Bett, kuschelte sich in die warmen Decken seiner Eltern, wo er viele Stunden weinend liegen blieb.





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