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Schicksalsjahre eines Hobbits I - Bockland  by Lily Dragonquill

Kapitel 8: Kummer



Als Esmeralda am nächsten Morgen nach Frodo sehen wollte, fand sie ihn schweißgebadet im Bett seiner Eltern. Er war blass, hatte die Stirn in Falten gelegt. Schweißperlen bedeckten Stirn, Lippen und Wangen des Jungen, hatten über Nacht seine Haare feucht werden lassen. Besorgt fühlte Esmeralda seine Stirn. Das Kind glühte förmlich. Ohne eine Sekunde zu zögern, eilte sie aus dem Zimmer und rief nach Saradoc. Ihr Mann sollte so schnell es ging nach dem Heiler verlangen. Sie selbst eilte in eines der Badezimmer, aus dem sie eine Schüssel mit kaltem Wasser und einige Tücher mit sich nahm.

Das Feuer im Kamin war ausgegangen, nur noch das schwache Glimmen der Glut war zu sehen, spendete kein Licht. Auch die Kerze war heruntergebrannt. Esmeralda kümmerte sich jedoch nicht um Licht oder Feuer. Erst galt es, Frodo zu versorgen. Sie stellte die Schüssel auf den Nachttisch, setzte sich auf die Bettkante und tauchte vorsichtig ein Tuch in das kalte Wasser. Ihr Herz klopfte, während sie dem leisen Tropfen der Flüssigkeit lauschte, als sie das Tuch auswrang und dann sanft Frodos Stirn und seine Wangen betupfte. Der Junge zuckte unter der Berührung zusammen, wimmerte leise.
Esmeralda brach das Herz und sie biss sich schmerzhaft auf die Lippen. Warum hatte sie nicht schon früher nach dem Jungen gesehen? Sie hatte befürchtet, dass so etwas passieren konnte und doch hatte sie nichts unternommen, es zu verhindern. Sie hatte den Jungen vernachlässigt und nun war er es, der den Preis dafür bezahlen musste.
Ein scharfes Luftholen ließ sie aus ihren Gedanken schrecken.
Merry war mit einem Satz von der Tür zum Bett gerannt, blickte besorgt und entsetzte in das vom Fieber gezeichnete Gesicht seines Vetters. Tränen füllten seine Augen, als eine plötzliche Furcht ihn ergriff und ihn verzweifelt nach dem Rock seiner Mutter tasten ließ.
Esmeralda spürte die zitternden Finger ihres Sohnes auf ihrem Schoß ruhen, konnte seine Hand jedoch nicht ergreifen, ganz gleich, wie gerne sie das getan hätte. Doch sie wusste, dass sie Merrys Kummer lindern konnte, indem sie Frodo half.
Merry vergrub seine Finger im weichen Stoff des Kleides, wollte von seiner Mutter in den Arm genommen werden, doch war ihm klar, dass sie sich um Frodo kümmern musste. Nur sie konnte ihm jetzt helfen.
"Wird er wieder gesund?", fragte er mit ängstlicher Stimme und ließ seinen Blick für einen Augenblick zu ihrem Gesicht wandern, in der Hoffnung, die Antwort in ihren Augen zu finden.
Esmeralda tauchte das Tuch noch einmal in das Wasser und wrang es aus. "Ich weiß es nicht, Merry."
Ihre zögernde Antwort beruhigte Merry nicht und er spürte einen Knoten in seinem Bauch. Er hatte doch nur gewollt, dass es Frodo wieder besser ging. Hatte sich nur gewünscht, seinen Vetter wieder zu haben. Er vermisste es, mit ihm durch die Felder zu streifen, zu lachen und herumzualbern, vermisste den Freund, der ihn besser kannte, als er sich selbst. Frodo konnte er alles erzählen und sein Vetter wusste mehr über ihn, als selbst seine Mutter. Ebenso erzählte Frodo ihm alles, was ihm auf dem Herzen lag und keiner musste jemals fürchten, dass ihre Geheimnisse beim anderen nicht sicher waren. Merry verbannte den Gedanken daran, was er tun würde, sollte Frodo nicht wieder gesund werden, griff stattdessen nach der kalten, zitternden Hand seines Vetters, die auf der Bettdecke lag und hielt sie zärtlich umklammert.



~*~*~

Frodo war umgeben von dichtem, feuchtem Nebel. Er zitterte vor Kälte, rieb sich fröstelnd die Hände und doch schien es ihm, als würde um ihn herum alles in Flammen stehen und nur er konnte die Wärme nicht fühlen. Er blickte sich um, war jedoch nicht in der Lage, etwas zu erkennen. Dichte Nebelschwaden zogen vor seinen Augen dahin. Wo war er?
‚Was machst du hier, Frodo?'
Frodo wandte sich um, als er die Stimme vernahm.
"Mama?", rief er verwirrt, "Wo bist du, Mama? Ich kann dich nicht sehen?"
Frodo rannte in die Richtung, in der er seine Mutter vermutete. Die Hände behielt er ausgestreckt, versuchte seine Augen gegen die feuchte, kalte Luft abzuschirmen, als er plötzlich stolperte und hart auf dem Boden aufschlug.
"Mama?", fragte er noch einmal mit verwirrter Stimme, rappelte sich in eine sitzende Position. Er rieb sich die Knie, blickte ängstlich in den Nebel, doch erhielt er keine Antwort. Furcht ergriff ihn, ließ sein Herz heftig in seiner Brust klopfen, als Tränen in seine Augen traten.
"Papa?", flüsterte er zögernd, hoffend, bei seinem Vater mehr Glück zu haben. "Wo seid ihr? Warum lässt ihr mich hier alleine? Kommt zurück! Ich bitte euch, kommt doch zurück!"
Ein verzweifeltes Schluchzen entrang sich seiner Kehle, doch niemand hörte es, niemand kam, um ihm zu helfen, ihn zu trösten. Er war alleine, verloren. Und der Nebel wurde immer dichter.

~*~*~



Frodo stöhnte, als Esmeralda erneut mit dem Tuch über die erhitzten Wangen strich, wälzte sich unruhig von einer Seite auf die andere. Seine Finger klammerten sich verzweifelt an der Bettdecke fest.
"Sh", machte Esmeralda leise, legte das Tuch in die Schüssel und ergriff seine linke Hand, in der Hoffnung, ihn zu beruhigen. Sie war erleichtert, als sich die Finger unter den ihren nicht mehr ganz so krampfhaft festhielten und Frodos Lippen ein leises Seufzen entwich.
"Ist er noch immer nicht aufgewacht?", fragte Mirabella, die mit einem Tablett, auf dem eine Teekanne und eine Tasse standen, in das Zimmer trat. Die Sorge um ihren Enkel war ihr deutlich ins Gesicht geschrieben, als sie ihre Last auf den Nachttisch stellte und Tee in die Tasse goss.
Sie war eine kräuterkundige Frau und hatte sofort einen Tee aus Sonnenblumenblüten zubereitet, als sie hörte, dass Frodo an Fieber litt. Trotzdem hoffte sie, dass der Heiler bald kommen würde. Sie verstand sich darauf, Kinder zur Welt zu bringen, doch vermochte sie nicht, Krankheiten zu heilen. Und Frodo musste wieder gesund werden, ganz gleich, woran er litt. Sie könnte es nicht ertragen, ihn auch noch zu verlieren.
Mirabella hatte eine neue Kerze mitgebracht, die sie in den Halter steckte und sie entzündete. Das Streichholz zischte, ließ ihren Enkel beunruhigt die Stirn runzeln. Mirabella war erleichtert über diese Reaktion. Frodo war dem Fieber nicht verfallen, stand vermutlich bereits an der Grenze zum Erwachen. Ein zögerndes Lächeln bemächtigte sich ihrer Lippen. Einige Augenblick blieb Mirabella hinter Esmeralda stehen, als diese nach dem Tuch langte, um es auf Frodos Stirn zu legen, blickte gedankenverloren in das Gesicht ihres Enkels, als würde der Anblick ihr helfen, ihren Kummer über den Verlust ihrer Tochter und ihres Schwiegersohnes zu lindern. Schwermütig seufzend wandte sie sich dann ab, machte sich daran, das Feuer im Kamin neu zu entfachen.

Frodo wimmerte, seine Finger schlossen sich fester um Esmeraldas. Merrys Mutter versuchte, ihn mit leisen Worten zu beruhigen, als der Junge plötzlich erschrocken die Augen aufschlug und verwirrt um sich blickte.
Es dauerte einen Augenblick, bis Frodo sich zurechtfand, doch dann erkannte er Esmeraldas Gesicht und entspannte sich ein wenig. Fragend sah er zu ihr auf. Er fühlte sich schwach und schwindelig und seine Glieder schmerzten, als wäre er gestürzt. Noch war er sich nicht ganz klar, wo er sich befand und die Augen drohten ihm wieder zuzufallen, doch Frodo zwang sich, sie offen zu halten.
Esmeralda lächelte, nahm ein Tuch von seiner Stirn, das er bisher noch nicht bemerkt hatte. "Wie fühlst du dich, Frodo?"
Frodo runzelte die Stirn, schloss die Augen dann doch. Seine Kraft schien noch nicht auszureichen, um zu antworten und es dauerte einige Zeit, bis er erneut blinzelte. Seine Großmutter stand nun hinter Esmeralda und auch wenn Frodo sie nicht kommen hörte, wollte er sie mit einem Lächeln begrüßen, was ihm nicht gelang.
"Ich weiß es nicht", gestand er dann mit zittriger Stimme, während er langsam verstand, wo er war und was geschehen war. "Es ist so heiß und doch ist mir kalt."
Esmeralda strich ihm sanft eine Locke aus der Stirn und Frodo war versucht, die Augen wieder zu schließen, ob der Kühle, die ihre Berührung brachte. "Das ist das Fieber."

Frodo blickte auf, als er Stimmen vernahm. Saradoc trat in das Zimmer, dicht gefolgt von Fastred Bolger, einem der besten Heiler im ganzen Auenland.
Dennoch gab es viele Gerüchte um ihn. Wann immer er irgendwo auftauchte, steckten die Hobbits die Köpfe zusammen und flüsterten. Man sagte, er könne in die Herzen anderer blicken, sehe Dinge, die niemand sonst erkennen konnte. Zwar wurden solche Aussagen von vielen als Geschwätz abgetan, doch schienen seine Heilmethoden des Öfteren fragwürdig. Nichtsdestotrotz war Fastred ein guter Heiler und immer für seine Patienten da.

Mirabella begrüßte den Hobbit, der für einen so erfahrenen Heiler noch recht jung war, höflich, verließ dann aber das Zimmer. Fastred hatte oft im Brandyschloss zu tun und Mirabella wusste, dass er gerne allein mit seinen Patienten arbeitete. Anfangs hatte sie das verwundert, doch inzwischen vertraute sie dem Heiler und tat alles, um ihn zu unterstützen.
Saradoc nahm Merry bei der Hand. Sein Sohn hatte ihn mit Fastred gesehen, war ihnen besorgt in das Zimmer gefolgt und schien nun nicht gewillt, es so schnell wieder zu verlasen, doch tat er, wie ihm geheißen. Nur mehr Esmeralda blieb zurück.

Fastred ließ sich von Esmeralda einen Stuhl bringen, während er seinen Mantel auszog, den er dann über die Rückenlehne legte, ehe er Platz nahm. Er beugte sich über Frodo und lächelte ihn aufmunternd an. "Hallo Frodo! Wie geht es dir?"
Frodos Antwort wartete er gar nicht erst ab, sondern legte sogleich prüfend eine Hand auf dessen Stirn, wartete einige Zeit und nickte dann besorgt. "Wie lange hält das Fieber schon an?"
Betrübt senkte Esmeralda den Kopf, antwortete nur mit leiser Stimme. "Ich bin erst heute Früh in sein Zimmer gekommen. Ich weiß nicht, wie lange er schon daran leidet."
Fastred nickte erneut, als würde er auch daraus seine Schlüsse ziehen, nahm dann Frodos Hand in die seine und fühlte den Puls. Er untersuchte seinen Patienten gründlich, bemerkte dabei auch einige der Kratzer, die Frodo sich bei seinem Sturz vom Baum zugezogen hatte und runzelte verwundert die Stirn darüber.
"Du trinkt viel zu wenig", sagte er schließlich an Frodo gerichtet. "Außerdem scheint mir, dass du schon lange nichts mehr gegessen hast."
Frodo hatte den Heiler aufmerksam beobachtet, während er von ihm untersucht worden war, wandte jetzt jedoch den Blick ab. Er wusste, dass der Heiler Recht hatte, doch das hieß nicht, dass er daran etwas ändern würde. Weshalb sollte er etwas essen, wenn ihm schon beim Gedanken daran übel wurde?
Fastred ahnte, dass der Junge wusste, dass er zu wenig aß, aber zu stolz war, dies ihm gegenüber zuzugeben und doch spürte er noch etwas anderes. Sanft strich er dem jungen Hobbit über die Wange, als sein Blick auf ein mit Kohle gemaltes Bild fiel, das auf dem Nachtkästchen lag, gerade so weit von der Kerze entfernt, das es nicht von herabtropfendem Wachs beschmutzt werden konnte. Er betrachtete es lange und eingehend, bevor er es aufhob.

Frodo hatte die Bewegung aus den Augenwinkeln wahrgenommen, wandte sich erschrocken um und beobachtete mit weit aufgerissenen Augen, wie ihm ein Fremder sein Bild wegnahm. Fastred durfte es nicht haben. Niemand durfte das. Es war sein Bild und niemand hatte das Recht, es anzufassen, ohne ihn um Erlaubnis zu bitten.
Flehend sah er zu Fastred auf, wollte ihn bitten, das Bild wieder zurückzulegen, doch alles, was er hervor brachte, war ein leises Wimmern.

Fastred wandte sich um. Mitfühlend und mit einem Lächeln sah er in das verzweifelte Gesicht des Kindes.
"Keine Angst, ich nehme es dir nicht weg."
Er legte das Bild in Frodos Hand, deren Finger es vorsichtig umklammert hielten. Eine Zärtlichkeit lag in der Berührung, die jeden anderen überrascht hätte, doch Fastred hatte dies bereits vermutet. Dennoch war er von Traurigkeit erfüllt, als Frodos Augen sich mit Tränen füllten, während er das Bild liebevoll und voller Sehnsucht betrachtete.

Es dauerte lange, bis Frodo sich schließlich dazu zwang, das Bildnis zur Seite zu legen. Seine Augen waren feucht, doch keine Träne war ihm entkommen, auch wenn er schwer mit sich zu kämpfen hatte. Seine Finger vergruben sich in der weichen Decke, während er versuchte, den Gedanken zu verdrängen, dass er seine Eltern nie wieder so würde lachen sehen, wie auf dem Bild.
Fastred beobachtete ihn eingehend, blickte tief in die blauen Augen, die ausdruckslos und doch voller Verzweiflung auf die Bettdecke starrten. Schließlich ergriff er Frodos Hand, hielt deren Finger in einer zärtlichen Berührung und wartete darauf, dass Frodo ihn ansah. Als der Junge den Kopf hob, beugte er sich beinahe verschwörerisch zu ihm hinab und flüsterte leise: "Was fühlst du, Frodo?"
Frodo runzelte verwundert die Stirn. Die Frage überraschte ihn, doch noch überraschter war er von seiner Antwort, die kaum mehr, als ein Wispern war. "Schmerz. Alles schmerzt. Und die Angst, sie ist unerträglich."
Die Worte hatten seine Lippen verlassen, noch ehe er über eine Antwort hatte nachdenken können und ließen ihn nur noch verwunderter in die liebevollen, besorgten Augen des Heilers blicken. In seine Augen legte er die Frage, was er soeben gesagt hatte, denn er verstand es nicht genau. Doch Fastred antwortete nicht darauf, drückte nur sanft seine Hand, um auszudrücken, dass er sich keine Sorgen zu machen brauchte und lächelte aufmunternd.

Esmeralda stand ein wenig abseits des Bettes, hatte das Schauspiel gespannt beobachtet, jedoch nicht ausmachen können, was gesagt worden war, ganz gleich, wie sehr sie sich darauf konzentriert hatte.
Fastred rührte sich plötzlich und strich Frodo ein letztes Mal über die Wange, ehe er sich von ihm verabschiedete. Er nahm seinen Mantel von der Stuhllehne und führte Esmeralda nach draußen.

"Was ist mit ihm?"; fragte sie besorgt, als sie die Tür hinter sich schloss.
"Körperlich geht es ihm gut, wenn man vom Flüssigkeitsmangel und der Tatsache absieht, dass er schon lange nichts mehr gegessen hat. Vor allem Flüssigkeit ist jetzt wichtig für ihn, da er unter hohem Fieber leidet."
Der Heiler blickte sie ernst an, während er in seinen Mantel schlüpfte.
Esmeralda nickte traurig. "Er hat seit fast drei Tagen nichts mehr gegessen. Wann immer wir ihn zum Essen riefen, wollte er nicht kommen und zwingen wollte ich ihn nicht."
Fastred nickte, schien kurze Zeit seinen eigenen Gedanken nachzuhängen, denn er blickte zu Boden, rieb sich abwesend mit der Hand das Kinn. Esmeralda wurde ungeduldig, doch wagte sie nicht, die Gedanken des Heilers zu unterbrechen.
"Wie ich hörte, sind seine Eltern kürzlich verschieden", sagte er schließlich, ließ sie mit seinen Worten beinahe zusammenzucken.
"Es war ein Bootsunfall, vor drei Tagen. Seither hat er sich in diesem Zimmer verkrochen", bemühte sie sich zu erklären, sah dabei betrübt zur verschlossenen Tür.
Fastred folgte ihrem Blick. "Es ist nicht leicht für ein Kind, den Tod eines Elternteiles zu verkraften. Noch schlimmer wird es natürlich, wenn Vater und Mutter am selben Tag zu Tode kommen. Sie verlieren mit einem Schlag alles, was ihnen Halt gab. Frodo ist gesund. Es ist seine Seele, die leidet. Er weiß nicht mehr, wo er hingehört. Er hat die verloren, die er am meisten geliebt hat. Noch will er es vielleicht nicht wahrhaben und doch weiß er, dass sie nicht mehr zurückkommen werden. Er weiß, dass er jetzt auf sich alleine gestellt sein wird und das macht ihm Angst. Sein hohes Fieber ist eine Flucht vor dem, was nun auf ihn zukommt. Ein Hilfeschrei, weil er nicht glaubt, alleine zurechtzukommen. Vermutlich auch ein Schutz vor der Wirklichkeit. Man muss ihm zeigen, dass er nicht alleine ist. Er muss spüren, dass es noch jemanden gibt, der für ihn da ist."
Esmeralda war erstaunt über das, was Fastred, mehr zu sich selbst, als zu ihr, sagte. Sie hatte zwar ebenfalls vermutet, dass Frodo aus Kummer um seine Eltern krank geworden war, doch was sie von Fastred erfuhr, überraschte sie dennoch. Es stimmte wirklich, was man über ihn sagte. Er konnte in den Herzen anderer lesen. Nie hätte sie geahnt, wie sehr Frodo wirklich darunter litt und das ließ ihr das Herz schwer werden.
Betroffen senkte sie den Kopf, ihre Worte kaum mehr, als ein Flüstern. "Was können wir für ihn tun?"
"Nichts", antwortete Fastred ernst und suchte ihren Blick, "außer für ihn da zu sein."
Esmeralda starrte den Heiler entgeistert an. Glaubte er etwa, sie sorge sich nicht um das Wohl des Jungen? Und doch schien es ihr zu wenig, sich nur um Frodo zu kümmern. Es musste etwas geben, mit dem sie ihn würde gesund pflegen können.
"Was kann ich gegen das Fieber machen?", fragte sie, ging langsam den östlichen Gang entlang, um den Heiler nach draußen zu geleiten. Nur spärliches Licht war ihnen von den Kerzenhalterungen an den Wänden vergönnt, doch das störte keinen der beiden.
"Ich möchte ihm nichts verabreichen. Wenn ich mit meinen Vermutungen richtig liege, dürfte es bald sinken. Sollte es dennoch schlimmer werden, ruft wieder nach mir."
Esmeralda nickte und bedankte sich, auch wenn seine Worte sie nicht ruhiger werden ließen.

Nachdem sie Fastred verabschiedet hatte, ging Esmeralda in die östliche Kleinküche, um Saradoc die Diagnose mitzuteilen.
Meriadoc saß auf dem Schoß seines Vaters, kuschelte sich an ihn und weinte bitterlich. Warum musste Frodo krank werden? Am liebsten hätte er die Zeit zurück gedreht, zu jenem Morgen drei Tage zuvor. Er wäre mit Frodo zu Hause geblieben und hätte so vielleicht verhindern können, was mit seinen Eltern geschehen war. All das Leid wäre Frodo erspart geblieben. Vielleicht wäre er nicht einmal krank geworden.
Überrascht hob er den Kopf als seine Mutter eintrat.
"Wie geht es ihm?", drängte er und rannte Esmeralda entgegen. Sie nahm ihn auf den Arm und küsste eine Träne von seiner Wange.
"Es geht ihm gut. Er hat hohes Fieber, das aber vergehen wird", ließ sie ihren Sohn wissen und küsste ihn noch einmal. "Frodo wird bald wieder gesund sein, mach dir keine Sorgen, Meriadoc."
Saradoc atmete erleichtert auf, als er die Worte vernahm und Merry brach in lautes Jubelgeschrei aus.

Als sie etwas später alleine in der Küche waren, ließ sich Esmeralda erschöpft auf einen Stuhl fallen. Saradoc trat um den Tisch herum, begann, ihre Schultern zärtlich zu massieren.
"Wie geht es ihm wirklich?", fragte er.
Esmeralda seufzte, gebot ihm mit einer Handbewegung aufzuhören, ganz gleich, wie sehr sie seine Behandlung genoss und bedeutete ihm, neben ihr Platz zu nehmen.
Saradoc tat, was sie verlangte, blickte besorgt in ihre Augen. Er konnte sehen, wie erschöpft sie war und so sehr er sich auch um Frodo sorgte, galt seine größte Sorge im Augenblick seiner Frau. Die Mühen der vergangenen Tage hatten sie sehr mitgenommen und ständig lag ein Schatten über ihren sonst so fröhlichen Augen. Esmeralda war an ihre Grenzen gestoßen, das spürte Saradoc deutlich und er wollte versuchen, ihr zu der nötigen Ruhe und Erholung zu verhelfen, die sie nun brauchte. Und doch galt es, erst Frodo zu helfen, denn erst dann würden auch er und seine Frau wieder zur Ruhe kommen.
"Fastred meinte, es wäre der Kummer, der ihn krank macht. Der Verlust seiner Eltern war zuviel für ihn. Er meinte, es müsse Frodo bald besser gehen, wenn er sich nicht seinem Schmerz hingibt." Esmeralda hob den Kopf, blickte bekümmert in sein Gesicht. "Ich fühle mich verpflichtet, für den Jungen da zu sein, und doch weiß ich nicht, wie ich das machen soll. Du weißt, wie sehr er an seinen Eltern hing, vor allem an Primula. Für mich selbst ist die Trauer noch so nah, dass ich fürchte, ihn mit meiner Traurigkeit nur noch unglücklicher zu stimmen."
Ihre Stimme war leise gewesen, von Tränen überschattet, die erst in ihren Augen glitzerten und schließlich den Weg über ihre Wangen fanden. Saradoc legte einen Arm um sie, zog sie in eine schützende Umarmung, doch auch ihm fiel es immer schwerer, stark zu bleiben.
Esmeralda lehnte den Kopf an seine Schulter. Sie war froh um seine Nähe, spürte sofort, wie seine Berührung ihr Kraft spendete und war bereit, dies anzunehmen.
"Wir werden das schaffen", sagte er sanft aber bestimmt und küsste sie zärtlich. "Und wenn du glaubst, nicht stark genug zu sein, gibt es noch genügend andere Hobbits hier im Brandyschloss, die sich für diese Zeit seiner annehmen können. Außerdem habe ich Bilbo bereits einen Brief geschrieben. Ich bin mir sicher, er wird so bald er kann nach Bockland reisen, wenn er erfährt, wie es dem Jungen geht. Das wird Frodo gut tun. Er wird bestimmt wieder auf die Beine kommen."



~*~*~



Frodo beobachtete wie Fastred und Esmeralda das Zimmer verließen. Stand es so schlimm um ihn, dass sie das außerhalb des Raumes besprechen mussten? Einen Moment lang, überlegte er, ob er zur Tür schleichen sollte, um zu lauschen, ließ es dann aber bleiben. Nicht nur, weil sein Gewissen ihm sagte, dass das unhöflich wäre, sondern auch, weil sein Körper mit schmerzhaften Stichen gegen jede größere Bewegung protestierte. Sein Kopf war schwer und heiß, und seine Schläfen pochten. Stöhnend drehte Frodo sich zur Seite, bettete sein Gesicht auf eine verhältnismäßig kühle Stelle des Kissens und schloss die Augen. Seine Gedanken wanderten zurück zu jenem Moment, als Fastred herein gekommen war. Frodo kannte den Heiler gut. Schon sein ganzes Leben, war er nur von ihm untersucht worden, wenn er einmal krank geworden war. Er mochte Fastred und die liebevolle Art, wie er ihn behandelte. Doch weshalb hatte er das gesagt? Weshalb hatte er ihm jene Gedanken anvertraut? Diese Gedanken gingen niemanden etwas an, außer ihm selbst. Er musste alleine damit fertig werden. Selbst ein Heiler wie Fastred würde ihm dabei nicht helfen können. Dennoch hatte er es ihm gesagt. Er hatte zwar nicht erwähnt von welcher Art seine Ängste und Schmerzen waren, doch war er sich sicher, Fastred wusste genau, woher sie stammten.
Sein älterer Vetter Milo hatte ihm einmal gesagt, dass Fastred sehr sonderbar wäre. Er hatte ihm erzählt, der Heiler sehe mehr als manch ein anderer. Frodo hatte damals nicht verstanden, was Milo damit ausdrücken wollte, doch nun hegte er keinen Zweifel, dass sein Vetter Recht hatte. Fastred hatte Dinge gesehen, die vielleicht sogar ihm selbst verborgen geblieben waren.

Je länger Frodo darüber nachdachte, desto bewusster wurde er sich seiner Angst. Er wusste, dass er Angst davor hatte, alleine zu sein. Doch nun wurde ihm klar, dass er nicht nur die Einsamkeit fürchtete, sondern auch, dass er von niemandem mehr so geliebt wurde, wie das bei seinen Eltern der Fall gewesen war. Ihm wurde klar, dass ihre Liebe etwas Einzigartiges gewesen war. Sie hatten ihn bedingungslos geliebt und ganz gleich was kam, sie waren immer hinter ihm gestanden.
Seine Gedanken wanderten zurück zum vergangenen Abend, als er die anderen im Esszimmer beobachtet hatte. Keiner schien sich darüber bewusst gewesen, dass er nicht bei ihnen gewesen war. Warum sollten sie auch? Er war nicht mehr, als ein junger, verängstigter Hobbit, der nachts wegen Albträumen bei seinen Eltern schlafen wollte.
Wie sehr er sie vermisste. Seine Mutter wäre jetzt bestimmt bei ihm und würde ihn trösten. Er konnte beinahe spüren, wie ihre Hände ihn zärtlich umschlossen, roch ihren einzigartigen Duft. Seine Ängste würden bald vergessen sein.

Doch sie war nicht mehr da, würde ihn nie wieder in ihren Armen halten. Niemand würde ihn jemals wieder so trösten, wie seine Mutter es getan hatte. Von nun an war er alleine, musste selbst für sich sorgen. Eine Träne lief lautlos über sein Gesicht und tropfte von seiner Nasenspitze.
"Tante Esmeralda könnte für mich sorgen", flüsterte er plötzlich kaum hörbar.
Ein schwacher Hoffnungsschimmer leuchtete in seinen glasigen Augen, als ein fiebriges Zittern ihn durchlief.
Doch konnte sie das wirklich? Sie mochte vielleicht auf ihn aufpassen, doch niemals würde sie so für ihn da sein können, wie Primula es gewesen war. Schließlich war sie noch nicht einmal jetzt hier, wo er krank war. Nein, sie würde nicht für ihn sorgen können. Er musste alleine zurechtkommen.
"Ich kann das nicht! Ich brauche Mama und Papa", flüsterte er in die Einsamkeit und nur das leise Knistern des Feuers antwortete ihm. Traurig bemerkte er, wie sich immer mehr Tränen den Weg über seine Wangen suchten, doch fand er nicht die Kraft, dies zu verhindern. Nie würde es ihm gelingen, alleine für sich sorgen zu können. In Wahrheit wollte er es nicht einmal. Sein Leben hatte seinen Sinn verloren, jetzt da er sie verloren hatte.

Das Pochen in seinen Schläfen wurde immer stärker. Fröstelnd und mit zitternden Fingern zog er sich die Decke über den Kopf. Viele Schweißperlen hatten sich auf seiner Stirn gebildet, liefen über sein Gesicht und vermischten sich mit seinen Tränen.
Warum kam niemand um ihm zu helfen? War er ihnen denn wirklich schon so gleichgültig, dass sie sich nicht einmal um ihn kümmern wollten, wenn er krank war?
Frodo hatte nicht die Kraft dazu, seinen Fragen noch länger nachzuhängen. Seine Lider verloren den Kampf gegen das Fieber und die Erschöpfung und so schloss er betrübt die Augen. Hoffnungslosigkeit und Angst erfüllten sein Herz, als ein unruhiger Schlaf ihn übermannte.





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