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Jenseits der Anfurten  by jodancingtree

5. Sams letzte Prüfung

Es regnete in Strömen, und jegliche Unternehmung im Freien verbot sich von selbst. Frodo saß am Kamin, die Schnitzwerkzeuge rings um seine Füße ausgebreitet, die Aufmerksamkeit voll auf die runde Holzscheibe auf seinen Knien gerichtet. Er raspelte vorsichtig daran herum, und biss sich vor lauter Konzentration auf die Unterlippe.

Sams Schlafzimmertür öffnete sich und er kam herein, während er sein Hemd zuknöpfte. „Morgen, Herr Frodo. Was haben wir heute vor?“ Er hob den großen Tiegel von seinem Haken am Kaminsims und holte den Eierkorb aus der Speisekammer.

Frodo blickte von seiner Arbeit auf. „Wie wär’s mit einer Wanderung quer über die Insel? Wir waren bis jetzt noch nicht am Südende.“ Er hielt seinen unschuldigen Gesichtsausdruck nur mit Mühe aufrecht, aber seine Mundwinkel zuckten.

Sam blinzelte aus dem Fenster in den herunter prasselnden Regen. Der Weg, der von der Vordertür wegführte, hatte sich in einen plätschernden Bach verwandelt und die Stufen waren kleine Wasserfälle. „Ich glaube, ich verzichte dankend, Herr Frodo. Ich war noch nie ein besonderer Schwimmer, wenn du verstehst, was ich meine.“

Frodo fing an zu lachen. „Oh Sam, es ist so gut, dich hier zu haben! Mit den Elben konnte ich niemals Witze reißen, weißt du?“

„Nein, sie sind wunderbare Leute, aber nicht für Witze.“ stimmte Sam zu. Er suchte sich seinen Weg um die Werkzeuge auf dem Boden herum und setzte den Tiegel auf ein Kohlenbett, das er aus dem Feuer zusammengekratzt hatte. Er kauerte sich daneben hin, eine lange Gabel in der Hand. „Was machst du da, Herr Frodo?“

„Oh, das ist bloß eine Schnitzerei, um die mich Galadriel gebeten hat, als wir letzte Woche zum Abendessen bei ihr waren.“ sagte Frodo vage. Sam hob eine Augenbraue angesichts der ausweichenden Antwort und schaute neugierig auf den Holzblock, aber er sagte nichts mehr. Der Speck zischte in der Pfanne und er wandte seine Aufmerksamkeit dem Kochen zu.

Im Laufe des Vormittags wurde das Wetter nicht besser. Frodo wusch die Frühstücksteller ab und kehrte zu seiner Schnitzerei zurück. Sam setzte sich an den Tisch, einen Stapel Papier vor sich und kaute am Ende seines Stiftes herum. Er versuchte sich an einem Gedicht, aber er kam nicht sehr schnell voran. Er hatte geschrieben:

Vor diesem Abend hatte ich das Meer noch nie geseh’n
Als ich im Westen an der Küste stand
Das Sternenglas erstrahlte hell und klar in seiner Hand
Er machte sich bereit, für immer von uns fortzugeh’n.
Durch Tränen konnt’ ich kaum das Schiff erkennen
Daß mein Herr uns verließ, brach mir das Herz
Durch all die Jahre blieb mein tiefer Schmerz
Dass ich ihm niemals würde folgen können.

An dieser Stelle war er stecken geblieben. Was er geschrieben hatte, drückte mit Sicherheit aus, wie er sich fühlte, als sein Herr die Anfurten vor sechzig Jahren verließ, aber er wusste nicht, wie er den Bogen von diesem alten Kummer hin zu seiner gegenwärtigen Freude schlagen sollte. Er kritzelte auf dem Rand des Blattes herum und malte eine rankende Weinrebe bis zur unteren Kante, dann fing er an, winzige Beeren zu zeichnen, die an der Rebe hingen. Es war sehr still in dem kleinen Zimmer, und die beiden Hobbits schraken hoch, als es laut an der Tür klopfte.

Sam öffnete, und ein schlanker Elb trat ein; Wasser strömte ihm aus den Haaren und aus seinen Kleidern. Frodo sprang auf, um ihn zu begrüßen. „Orophin! Komm herein! Himmel, du bist ja durchgeweicht! Möchtest du ein Glas Wein, oder lieber etwas Heißes? Es muss kalt sein, in diesem Regen zu wandern!“

Der Elb lächelte und schüttelte sich, fast so wie ein Hund. Wassertröpfchen flogen glitzernd in alle Richtungen, und jetzt wirkte er ziemlich trocken. „Nein, Frodo, ich kann nicht bleiben. Ich kam nur, um dir eine Nachricht der Herrin Galadriel zu bringen, und ich muss noch mehr abliefern.“ Er langte in ein Päckchen, das an seinem Gürtel hing und zog einen kleinen, grünen Umschlag heraus. „In zwei Nächten wird der Mond voll sein.“ sagte er, und mit dieser geheimnisvollen Bemerkung nickte er zum Abschied und ging wieder hinaus in den Regen.

Sam schloß die Tür und bürstete Wassertröpfchen von seinen Armen und Schultern. „Wundervolle Leute, diese Elben.“ sagte er wieder. „Bloß gut, dass er sich so trocken schütteln kann, wenn er bei diesem Wetter Nachrichten überbringen muss! Aber wieso macht es was aus, wann der Mond voll ist?“

Frodo hatte den Umschlag geöffnet und las seinen Inhalt mit unmissverständlichem Entzücken. „Alter Junge, weil Galadriel uns Plätze in ihrem Boot anbietet – beim Herbstmond-Wettsegeln!

Das ist eine ziemliche Ehre, Sam! Galadriel hat das schnellste Boot auf der Insel, aber es trägt nur sieben Mitfahrer: fünf Gäste und zwei Seeleute. Ich bin ein oder zweimal an Bord gewesen, aber das ist schon lange her.“ Er hob die Augen zu Sams Gesicht und lächelte. „Ich glaube, diese Einladung ist in Wirklichkeit mehr für dich gedacht als für mich, Samweis. Galadriel denkt sehr hoch von dir.“

Sam antwortete nicht, aber sein Gesicht war bleich geworden. „Wie wär’s mit einem Becher Tee, Herr Frodo?“ sagte er schließlich. Ohne auf eine Antwort zu warten, ging er zum Kamin und goß geschäftig Wasser in die Teekanne. Frodo stand mitten im Zimmer, die Einladung lose in der Hand; er betrachtete Sam voller Verblüffung. Es gab ein plötzliches Krachen, als Sam ein Becher aus der Hand rutschte und auf dem steinernen Kaminboden zerschellte.

Endlich rührte sich Frodo; er ging zu Sam hinüber und zog ihn von der Stelle weg, wo er versuchte, mit ungeschickten Händen die Scherben aufzusammeln. „Lass das, Sam!“ schalt er. „Hier, setz dich hin und sag mir, was los ist.“ Er drückte Sam in einen Sessel und reichte ihm einen Becher Tee, dann goss er sich selbst ein.

„Also gut, Samweis.“ sagte er. „Raus damit. Du siehst aus, als hättest du ein Gespenst gesehen, aber wieso?“

Sam nahm einen langen Schluck Tee. „Nichts, weswegen du so besorgt dreinschauen müsstest, Herr Frodo.“ sagte er und versuchte zu lachen. „Was ist das denn nun für ein Wettsegeln, zu dem wir eingeladen sind?“ Wie er es beabsichtigt hatte, ließ sich Frodo von der Frage ablenken.

„Es ist eine Zusammenkunft der Boote von der ganzen Insel, Sam. Sie segeln gemeinsam bei Sonnenuntergang los, in alle Richtungen, wie die Strahlen der Sonne. Und jedes Boot wird von einem Ende zum anderen mit farbigen Laternen beleuchtet, aber jedes mit nur einer Farbe – golden, blau, grün oder weiß. Wenn der Mond aufgeht, segeln sie um die Wette zurück zur Insel, und das erste Boot von jeder Farbe, das die Insel erreicht, führt die Boote mit der gleichen Farbe an. Während die anderen Boote zurück kommen, reihen sie sich hinter dem führenden Boot ein und die Bootsreihen segeln immer wieder rund um die Insel und verweben sich miteinander, so dass die verschiedenfarbigen Lichter Muster in die Dunkelheit zeichnen.“

Er brach ab und gluckste. „In einem Jahr gab es einen Zusammenstoß, und Elronds Boot ist gekentert. Also schwammen Elrond und ein Dutzend andere im Dunkeln herum, und die anderen Boote fuhren durcheinander bei dem Versuch, sie aufzusammeln – das Erstaunlichste an der Sache war, dass sie sich in dem Gewühl nicht gegenseitig rammten. Oh, aber Elrond war fuchsteufelswild!“

Sam betrachtete ihn voller Entsetzen. „Bloß gut, dass du nicht in Elronds Boot warst, Herr Frodo!“

„Na ja... genau genommen war ich’s doch! Ich hatte keinen Schwimmzug mehr getan, seit ich ein Junge im Brandyschloss gewesen war, aber ich erinnerte mich sehr schnell wieder daran, wie man schwimmt, das kannst du mir glauben! Aber es war nur dieses eine Mal, Sam. Es ist nie wieder passiert – jetzt proben sie rechtzeitig, um Unfälle zu verhüten.“

Er wanderte im Zimmer herum, mit glühendem Gesicht, berstend von dem Bedürfnis, seine Aufregung mit Sam zu teilen. „Die ganze Zeit, während sie segeln, wird auch gesungen – ein Sänger in jedem Boot. Sie bereiten sich das ganze Jahr darauf vor, weißt du, und jedes Jahr sind die Lieder neu, sie werden extra für das Wettsegeln geschrieben. All die Sänger von jeder Farbe übernehmen einen anderen Teil der Harmonie. Oh Sam, das ist wundervoll! Galadriels Boot wird sicher unter den Führenden sein, und dann sind wir richtig weit vorne. Wart’s nur ab – so etwas wie dieses Wettsegeln hast du noch nie gesehen!“

Er verfiel in Schweigen und verlor sich in Erinnerungen – helle Bänder aus Licht, die ständig wechselnde Muster in die Dunkelheit flochten, juwelengleiche Laternen, die sich im dunklen Wasser spiegelten, Wellen von Musik, die über das Meer dahinrollten. Ein großartiges, kreisendes Gewebe aus Klängen und Tönen, er selbst und die Elben eingefangen in diesem Kreis und mit ihm in Bewegung, und über ihren Köpfen der prachtvolle Herbstmond, der über den Himmel segelte. Und dieses Jahr würde Sam auch dabei sein! Sein Glück schien fast unerträglich groß zu sein, und eine tiefe Dankbarkeit überkam ihn.

„Und was dann, Herr Frodo? Wie lange dauert es?“ fragte Sam. Frodo blinzelte, plötzlich in die Gegenwart zurückgerissen.

„Es dauert die ganze Nacht, Sam; bis zur Morgendämmerung. Und gefeiert wird auch. Manchmal ändert sich die Musik in zwei verschiedene Harmonien, und dann können alle auf den Booten, die still sind, etwas essen, und denen zuprosten, die gerade singen. Wenn die Sonne aufgeht, gibt es ein letztes Lied, um sie willkommen zu heißen; dieses Lied ist jedes Jahr das selbe, und es wird von allen angestimmt. Dann kommen die Boote zur Insel zurück und werden für den Winter auf’s Trockendock gelegt. Das Wettsegeln ist für die kleinen Boote auf der Insel gedacht, für die, die sich nicht in die Winterstürme hinauswagen können.“

Sam lauschte mit wachsender Bestürzung, um so mehr, als er Frodos Begeisterung bemerkte. Das war ganz klar der Höhepunkt des Jahres auf Tol Eressëa, ein Fest, dem man sich nicht entziehen konnte, ohne Anstoß zu erregen. „Und es bedeutet Herrn Frodo eine Menge.“ dachte er. „Er ist so glücklich, dass er diese Einladung bekommen hat!“

Sam nippte an seinem Tee und erinnerte sich an die zehntägige Reise, die ihn nach Eressëa gebracht hatte. Nur seine tiefe Sehnsucht nach Frodo hatte ihn auf das Elbenschiff getrieben, und nur die Aussicht, seinen Herrn wiederzusehen, hatte ihn während der Reise aufrecht gehalten. Und das war ein Schiff in voller Größe gewesen, nicht ein kleines, für Schnelligkeit gebautes Boot! Sam hatte ein ganzes, langes Leben hindurch nie seine Angst vor Booten verloren.

Frodos Feuereifer für dieses Wettsegeln überraschte ihn – vor allem nach der Beinahe-Katastrophe mit Elronds Segler! Hobbits verabscheuten das Wasser, das war soviel wie ein Gesetz. Andererseits war Frodo am Ufer des Brandywein aufgewachsen; er hatte seine Kindheit damit verbracht, mit seinen Brandybock-Vettern auf dem Fluss zu rudern. Frodo hatte das Wasser nie gefürchtet.

„Sam?“ Frodos Stimme unterbrach seine Gedanken. „Bist du in Ordnung?“

Sam schüttelte sich innerlich und brachte ein gezwungenes Lächeln zustande. „Ja, ich bin in Ordnung, Herr Frodo. - Ich glaube, ich leg’ mich ein bisschen hin, wenn’s dir nichts ausmacht. Dieser Dauerregen macht mich irgendwie fertig.“

Sam stellte seinen Becher hin, ließ Frodo, der hinter ihm herstarrte, wo er war und zog sich in sein Schlafzimmer zurück. Er legte sich nicht auf das Bett, sondern zog einen Stuhl vor das geschnitzte Fußende und setzte sich hin. Wieder betrachtete er die Bilder von sich selbst – im Kampf mit Kankra, mit Frodo auf dem Schicksalsberg, Frodo aus dem Orkturm rettend. Hier waren ein paar der schrecklichsten Erinnerungen seines Lebens versammelt.

Obwohl... hätte Frodo davon gewusst, dann hätte er noch ein Bild hinzufügen können: Sam in dem kleinen Elbennachen auf dem Anduin. Für Sam war die lange Fahrt den Fluss hinunter in der zerbrechlichen Nussschale genauso furchtbar gewesen wie die lange Dunkelheit von Moria. Ausgenommen der Balrog, natürlich. Schlimmere Dinge waren später noch gekommen, ganz klar; aber seine Furcht während dieser Flussreise war sehr wirklich gewesen.

Und das alles war so lange her. Er hätte nicht gedacht, dass sein Mut noch einmal auf die Probe gestellt werden würde, hier in Eressëa. Er schauderte, als er sich vorstellte, wie Frodo über Bord ging und in dem dunklen Wasser herumpaddelte. Was, wenn er ertrunken wäre und Sam hätte Eressëa erreicht, nur um festzustellen, dass er schon tot war, genau wie Herr Bilbo? Sam verdrängte den Gedanken. Frodo war nicht ertrunken, er war im Zimmer nebenan, unendlich begeistert bei der Aussicht auf eine weitere Bootsfahrt!

Den ganzen Nachmittag saß Sam allein und rang mit seiner Furcht. Frodo würde nicht darauf bestehen, dass er an dem Wettsegeln teilnahm, das wusste er, aber ohne ihn gehen würde er auch nicht. Wenn er auf seinen Platz in Galadriels Boot verzichtete, würde Frodo ebenfalls am Ufer zurückbleiben.

Er starrte auf die geschnitzten Bilder. Dies waren tödliche Gefahren gewesen, aber er hatte den Mut gefunden, sich ihnen zu stellen, um Frodos Willen. Eine Nacht damit zu verbringen, auf einem kleinen Boot um Eressëa herum zu segeln (selbst, wenn es das schnellste Boot der Insel war, wie er sich schaudernd erinnerte) war überhaupt keine echte Gefahr. Selbst wenn das Boot kenterte, konnte er sich an der Seite festhalten, oder nicht? Er spürte, wie ihn angesichts seiner eigenen Hasenherzigkeit eine Welle von Selbstverachtung überflutete. Nach all seinen Abenteuern immer noch Angst vor dem Wasser zu haben!

Er würde Frodo keine Ehre machen, wenn er sich weigerte, mitzugehen. Was immer sein Herr auch denken mochte, die Einladung der Herrin war sicher als Tribut für ihn gedacht, mehr als für Samweis. Schließlich und endlich war Frodo der Ringträger gewesen.

Letzlich war es die Liebe zu seinem Herrn, die den Sieg davontrug. Frodo war glücklicher über diese Einladung, als es sich mit Worten sagen ließ, das konnte jeder sehen. Sam würde nichts tun, um seiner Freude einen Dämpfer aufzusetzen, und wenn er in einem Waschzuber nach Valinor segeln musste! Einem löcherigen Waschzuber! Mit diesem Gedanken stand er auf und stellte den Stuhl auf seinen Platz an der Wand zurück. Er straffte die Schultern und ging ins Nebenzimmer.

„Also, Herr Frodo, was sagst du zu einem bisschen Abendessen?“ fragte er munter. Frodo blickte von seiner Schnitzerei auf. „Das wäre fein, Sam.“ sagte er, aber während Sam sich im Zimmer hin- und herbewegte und die Mahlzeit vorbereitete, beobachtete er ihn mit ungeminderter Besorgnis; er fragte sich, warum er nach seinem langen Schlaf nicht ausgeruhter wirkte.

„Vielleicht solltest du mir besser dieses Lied beibringen, Herr Frodo. Das eine, das wir singen werden, wenn die Sonne aufgeht.“

 





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